24. Juni 2009
Neustadt - Es war eine Premiere in Spielfilmformat. Das 1. Neustadter Stadtgespräch veranstaltete die Neue Presse zusammen mit NecTV. "Solarparks - Irrweg oder Chance?" war der Titel, 90 Minuten dauerte die Live-Sendung aus dem Neustadter Arnold-Gymnasium. Eben Spielfilmlänge. Alles, was einen guten Spielfilm ausmacht, war dabei - auch wenn es nicht um ein fiktionales Thema ging: Eine Diskussionsrunde mit Einspielungen.
Die ÖDP in Neustadt möchte ein Bürgerbegehren auf den Weg bringen, um über die Solarparks in Brüx und Mittelwasungen abstimmen zu lassen. Bürgernah und demokratisch - das klingt nach einem guten Stoff, bei dem die Mächtigen nicht automatisch die Sieger sind. Für die ÖDP sitzt Thomas Büchner im Neustadter Stadtrat - eines von 24 Ratsmitgliedern plus dem Oberbürgermeister Frank Rebhan. Das klingt nach David gegen Goliath, die perfekte Geschichte. Der Moderator auf dem Podium, Neue Presse-Redaktionsleiter Wolfgang Braunschmidt, spann den roten Faden. Mit ihm auf dem Podium saßen Wolfgang Weiß, energiepolitischer Sprecher der Grünen in Coburg, Hermann Bähr von der Informationsstelle des Solarenergie-Fördervereins Deutschland, Oberbürgermeister Frank Rebhan, ÖDP-Stadtrat Thomas Büchner und der Neustadter Klaus Gehrlicher, Vorstandsvorsitzender der Gehrlicher Solar AG, und Investor der Solarparks. Im Publikum saßen - wie es sich für eine Premiere gehört - alle, die Rang und Namen haben. Die Räte der Stadt, die Fraktionssprecher aus dem Kreistag, der Präsident der IHK zu Coburg, der Landrat. Noch bevor das Publikum richtig warm wurde war klar:
Gleichung
Die Gleichung, wer gegen Atomstrom ist, muss für den Solarpark in Mittelwasungen stimmen, geht nicht auf.
Die Gleichung, ein trickreicher Investor zieht arme Landwirte und die Bevölkerung über den Tisch, geht nicht auf.
Die Gleichung, dort wo keine Solarparks entstehen, werden Kartoffeln für die Landbevölkerung gedeihen, geht nicht auf.
Stattdessen plätscherte die Geschichte ein wenig vor sich hin. Der kleine David, die Rolle von Thomas Büchner, wollte so recht keine Freunde finden, obwohl es Moderator Braunschmidt den Podiumsmitgliedern immer wieder anbot. Die Grünen behaupten, solch ein Bürgerbegehren niemals anzustrengen, damit die demokratische Waffe nicht an Schärfe verliert für andere - wichtigere - Gefechte. Der Solarenergie-Förderverein ist zwar prinzipiell gegen Freiflächenanlagen, kann sich dennoch nicht für das Bürgerbegehren aussprechen, weil er unpolitisch sein will. Und der Oberbürgermeister findet es zynisch, wenn den Bürgern Angst vor einer neuen Hungersnot gemacht wird, falls die Ackerflächen nicht für Nahrungsmittel, sondern für Solarstrom genutzt werden.
Klaus Gehrlicher schafft Klarheit
Sie haben den Faden verloren? - Nun, das passiert auch in Hollywood-Streifen. Dort tritt dann einer auf, der Klarheit schafft. In Neustadt tritt Klaus Gehrlicher auf. Er kommt aus der alternativen Szene, er hat nichts gegen die ÖDP, er findet Dach-Solaranlagen prima - nur seine Praxis zeigt: es funktioniert nicht. Die Eigentümergemeinschaften streiten sich, die Banken streiten sich um Grundbucheintragungen, die Hütten sind statisch einfach nicht stabil genug. Klare Worte: Wer Solarstrom umsetzen will, muss auf Freiflächen ausweichen. Da bekommt der Film Längen, wie sie jeder Spielfilm hat. Die Argumente wiederholen sich, Klimaerwärmung, CO2-Reduzierung, wertvolle Äcker für Nahrungsmittel. Mitten auf dem Podium lässt Oberbürgermeister Frank Rebhan dies über sich ergehen und döst in der Hitze der Scheinwerfer.
Gerhard Preß braucht nur Sekunden
Da kommt aus dem Publikum Gerhard Preß an den Tisch von Christine Rebhan, die die Rahmenhandlung und Einspielungen moderiert. Lässig, braun gebrannt, das schwarze Seidenhemd über dem Hosenbund, schlendert der Bürgermeister aus Rödental heran. Auch wenn er sich mit vielem anfreunden kann, mit den Neustadtern kann er es nicht. Er braucht nur Sekunden, um einen Sturm zu entfachen. Wenn der Investor in Neustadt nicht weiter kommt, kann er gerne nach Rödental kommen. Dort lässt sich sicherlich ein schönes Plätzchen finden, auf dem Solarfelder nicht stören. Die Podiumsteilnehmer sitzen auf einen Schlag wieder stramm und aufrecht. Hauptsache, die Solarfelder seien gut versteckt und nicht zu sehen, argumentiert Preß. Doch das outet den sonst so gesetzessicheren Bürgermeister. Im Gesetz steht zwar nicht, dass die Anlagen sichtbar sein müssen. Aber sie müssen direkt an die Bebauung angrenzen - und damit werden sie meistens auch sichtbar sein; in Neustadt wie in Rödental.
Ackerflächen für Biogas
Jetzt versuchen alle ihre Schäflein ins Trockene zu bringen. Der Oberbürgermeister rudert, der Landrat rudert, sie loben die Firma Gehrlicher, die auch nach Thüringen hätte gehen können und dort obendrein noch mehr Fördergelder bekommen hätte. Und Klaus Gehrlicher bedankt sich nicht einmal. Er stellt das klar, was vorher keiner geschafft hat. Wenn im Landkreis Coburg 2000 Hektar mit Dünger und Pestiziden für Futter der Biogasanlagen bewirtschaftet werden, verstehe er die Welt nicht, wenn sich an nicht einmal 20 Hektar für Solarfelder die Geister scheiden. Mit 250 Hektar könnte er soviel Strom erzeugen, dass es für den ganzen Landkreis reichen würde - 30 Jahre lang. Und natürlich findet er auch Biogasanlagen notwendig, und habe auch nichts gegen die ÖDP, mit der er in anderen Gemeinden eng zusammenarbeite. Wenn das kein Happy End ist.
Noch 200 Unterschriften
Doch die wirklich großen Filme haben einen 2. Teil. Und der beginnt, wenn das Bürgerbegehen erfolgreich war und es zu einem Bürgerentscheid kommt. Rund 200 Unterschriften fehlen der ÖDP noch, dann wäre die erste Hürde genommen. Dann könnte - zum Beispiel zusammen mit der Bundestagswahl - über die Solarparks in Brüx und Mittelwasungen abgestimmt werden. Dass es zu diesem Entscheid kommt, ist wahrscheinlich. Das Ergebnis werde er selbstverständlich respektieren, kündigte Initiator Thomas Büchner an. Und dann kommt Teil 3.
Gute Unterhaltung.
Tim Birkner