8. Juni 2011
Tun Sie mir bitte einen Gefallen: Überlesen Sie das Kleingedruckte. Es tut einfach nicht gut. Die Kleindrucker wissen das und wollen uns helfen, Unangenehmes zu verdrängen. Auf Arzneimittelpackungen ebenso wie auf Lebensmitteln. In einem Anfall von Langeweile habe ich es doch getan und gleich einen dicken Hals bekommen. Eine Packung mit Fisch, hübsch mit Bio-Siegel. „Fangnation: Russland“, lese ich. Nichts Anrüchiges. „Verarbeitungsnation: China“, das wird schon toller. Wo hört der Fang auf und wo beginnt die Verarbeitung? Wie kommt der gefangene Fisch dann von hier nach dort? Oder handelt es sich um ein und die gleiche schwimmende Fischfabrik, bei der nur der Kapitän wechselte? In meinem Inneren läuft der globale Film jetzt erst richtig an. Paniert wurde der verarbeitete Fisch dann wahrscheinlich in Mexiko, mit Weizenmehl aus den USA und Eiern aus den Niederlanden. Die Pappe kommt aus Finnland, bedruckt mit tschechischen Farben in einer estnischen Druckerei. Dann klingelt das Telefon: „Es tut uns leid, Lieferschwierigkeiten. – Auf unbestimmt verschoben. – Wir warten auf Teile eines Zulieferers.“ Da fehlen an einem Apparat zwei kleine Plastiknippel, die ein unbekannter Zulieferer aus einem unbekannten Land nicht liefern kann, weil der eigentliche Zulieferer den Auftrag für diese und jene Nippelchen weiter gereicht hat, ohne zu vergessen, den Auftragnehmer wie eine Zitrone auszuquetschen. Es geht immer noch billiger. Und dann? Dann geht plötzlich gar nichts mehr, weil einer der Ausgequetschten zusammenbricht. Großartig, diese Globalisierung. Ich stecke sie in meine rote Altworttonne, die Pappe entsorge ich ordnungsgemäß im Altpapier und warte, dass der Zorn verraucht und der Fisch gar wird.
Tim Birkner